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Täglich stolpert man in den Medien - Zeitungen, Zeitschriften,
Fernsehen, Online-Zeitungen, Portalen, sozialen Netzwerken - über die
häßlichen Ausgeburten der Rechtschreibreform. Auch vor wenigen Minuten
wieder, in einem Artikel in "Der Freitag":
"Orpheus gelang es durch den
verhängnisvollen Blick zurück, bekannter Weise nicht, seine
Eurydike zu retten." (Lena Baetz,
Kein Klagelied) Die fettgedruckte Wortgruppe war einst ein
Adverb und wurde zusammengeschrieben. Nach der Reform von 2006 ist das
Adverb zurückgekehrt und man schreibt "bekannterweise". Die Version von
1996, die Frau Baetz in ihrem Nicht-Klagelied anstimmt, scheint in den
Wörterbüchern trotzdem noch herumzugeistern. Weder das Online-Wörterbuch
"dict.leo.org" noch
das Langenscheidt-Großwörterbuch Muret-Sanders enthalten "bekannterweise"
als Stichwort. Offenbar ist das Adverb nicht in andere Sprachen
übersetzbar, zumindest solange die Wörterbuchverfasser die Regeln von
2006 nicht umsetzen. Oder es gibt es gar nicht,
wie ein Autor auf schreibweise.org meint und vorsorglich
"bekanntlich" als Ausweichwort vorschlägt:
Gibt es das Wort überhaupt?
Nach ein wenig Recherche wage
ich zu bezweifeln, dass es das Wort "bekannterweise" überhaupt gibt.
Allem Anschein nach ist
"bekanntlich" das eigentliche Wort, das in diesem Zusammenhang
genutzt werden sollte. (Marco vor 1 Jahr)
Übrigens "Weise" ist nicht nur ein
Synonym für "Art/Verfahren/persönlicher Stil" (engl. manner, way,
fashion/style), sondern auch für "Melodie". Beispiel: Klaus klagt in
bekannter Weise sein Leid. By the way, nur im Englischen werden
Adverbien so abgetrennt, wie es die Dame oben macht. "Zeitung lesen ist
immer auch ästhetisches Erlebnis, das über die reine
Informationsaufnahme hinausgeht" (Der Freitag, ebenda), schreibt sie ein
paar Zeilen weiter. Dem kann ich nicht zustimmen.
Leider gehöre ich einer Generation oder
einer Gruppe Menschen an, die nicht zu Abnickern erzogen wurden,
zumindest sind diesbezügliche Sozialisationsbemühungen gescheitert. Ich
bin vielmehr dem Credo meines Deutschlehrers gefolgt, der uns seinerzeit
ein Gedicht von Günter Eich mit auf den Lebensweg gab:
Wacht
auf! (Auch
hier.).
Nein, schlaft nicht, während die
Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für
euch erwerben zu müssen.
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit
der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht
erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!
(Günter Eich, aus "Träume")
Aus solchem Antrieb heraus bin ich nach
der Rechtschreibreform nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen,
sondern habe mich hingesetzt und an diesen kritischen Seiten zur Reform
gearbeitet. Dabei hatte ich schon 1991 Fahnenflucht begangen, als ich
meine langjährigen Kolleginnen und Kollegen an der Fachhochschule und an
der Universität im Stich ließ und, anstatt Deutsch als Fremdsprache zu
unterrichten, mich der Informationstechnik widmete. An meinem neuen
Arbeitsplatz lernte ich, daß zweieinhalb Jahrzehnte Erfahrungen im
Schreiben und Unterrichten nichts wert sind, wenn Vorgesetzte allemal
besserwisserisch alles besser wissen.
Viele, die ich traf, empfanden sich, da
sie im Abitur Deutsch hatten, als Experten der deutschen Sprache. Keiner
von ihnen hatte je im Leben seine sprachlichen Produkte ins Fegefeuer
von Lektoren und Korrektoren schicken müssen, Berufe übrigens, die mehr
oder minder aus "Kostengründen" wegrationalisiert worden sind. Dennoch
zeugte ihr breites Lächeln (oder Grinsen) von unübertroffener
Selbstsicherheit und höchster Selbstwertschätzung, wenn sie mir eine
Unkorrektheit meinten nachweisen zu müssen.
Welche Rechtschreibung man verwenden
will, muß jeder letztlich mit sich selbst ausmachen. Als ich für
Bundesbehörden Studien, Analysen und sonstige Dokumentationen schrieb,
habe ich die vorgeschriebene neue Rechtschreibung verwendet - WORD sei
Dank, mit Microsofts Hilfe. In allen offiziellen Anschreiben, angefangen
vom Angebot einer IT-Dienstleistung bis hin zu privaten
Bewerbungsschreiben an Firmen, war sie unumgänglich, weil dies die
Empfänger erwarteten. Aber firmenintern habe ich damals mit durchsetzen
können, daß wir die alte bewährte Rechtschreibung verwendeten.
Außerhalb der Anwendungsbereiche Schule
und Behörden (und der sich als Behörden fühlenden Firmen) sollte jeder
zurückkehren zur alten Rechtschreibung. Nur so kann sie auch am Ende
gesellschaftlich wieder durchgesetzt werden. Autoren sollten sich
weigern, daß Verlage ihre Bücher in Neuschrieb publizieren, so wie es in
Österreich schon geschehen ist. Dort wurde 2007 eine Erklärung von 700
Autorinnen und Autoren unterschrieben, in der es heißt:
Erklärung
Ich untersage in allen deutschsprachigen Publikationszusammenhängen
jegliche unabgesprochenen Eingriffe in die Gestalt meiner Texte bzw.
als dessen/deren Rechtsnachfolger/in in die Gestalt der Texte von
xxx, auch jene, die als orthographische Anpassung bezeichnet werden.
Dies gilt insbesondere für den Abdruck in Schulbüchern und anderen
pädagogischen Lehrmitteln.
(Deutsche
Sprachwelt 2007)
Ziel der Autorinnen und Autoren war
eine Änderung des österreichischen Urheberrechts, zu dem nunmehr auch
die Orthographie zählen sollte. Auch aus der Schweiz wird eine
vergleichbare Initiative
gemeldet. |