Kurzes zur Rechtschreibreform
Heute habe ich mal wieder, auf der Suche nach einer zitierfähigen Internetseite, zum Thema Rechtschreibreform gelesen. Alle Insider wissen, daß dieser Schwachsinn gescheitert ist und für die „Betroffenen“ - in diesem Fall die Schüler – nichts gebracht hat. Schreibt jemand einen Kurztext, den er aus einem alten Buch auswendiggelernt hat, in der Originalschreibweise, fällt er durch Aufnahmeprüfungen durch, weil obrigkeitshörige Lehrer vor allem Rot verspritzen, wenn nicht treudeutschbrav alles in Neuschrieb verfaßt ist. Wenn einer von denen meine Texte lesen würde, würde er mir das Abi wieder aberkennen.
Bis auf die Seite, auf der auch Ickler sein Rechtschreibtagebuch stehen hat, habe ich nichts gefunden. Mir fehlt vor allem in Kurzfassung eine fundierte Kritik an der Reform. Stattdessen alles verstreut in zig Artikeln, die man schlecht verlinken kann. Wenn die Kritiker heute noch Energie aufwenden gegen die Reform, sollte derlei schleunigst nachgeliefert werden. Vor allem Studenten benötigen sowas vielleicht am ehesten – in der Schule allerdings sollte man immer Neuschrieb schreiben, sonst ist man verloren.
Dann habe ich ein paar englischsprachige Artikel angelesen. Nach ein paar Absätzen und kurzem Überfliegen habe ich es allerdings aufgegeben, die Texte zu goutieren. Die Herrschaften sind der Meinung, daß die Kritiker an der Reform „Sprachpuristen“ seien, die sich gegen jegliche Veränderung stemmten. Dann folgen heftige Verweise auf die eigenen „empirischen“ Forschungsansätze und daß man es soziologisch angehen läßt. Daß die Reform zu einem gigantischen Orthographiechaos geführt hat, ist den Autoren entgangen.
Viele nehmen das Reformdeutsch einfach hin. Die Rechtschreibung sei eigentlich ohnehin nicht so wichtig für den Sprachgebrauch.
Was ich im englischen Sprachraum nicht gefunden habe – außer in einem Forum im „Linguist“ - aber die Beiträge sind von 1998! - , sind irgendwelche linguistischen Würdigungen. Das Argument, daß bei der Getrenntschreibung von vielen Komposita Bedeutungen einfach beerdigt werden, kann doch nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Diese Formen in ihrer spezifischen Schreibung sollten die Verständlichkeit erhöhen, jetzt wird ein Ratespielchen draus – oder man liest drüberweg und spart sich die Gedanken des Verfassers. Ob das dessen Absicht war? Wohl kaum.
All die Textbeiträge, die seit 1996 auf Reformdeutsch erschienen sind oder
zumindest der Intention nach, haben etwas gemeinsam: eine unsägliche Pedanterie
im "Alles-richtig-machen-wollen", zugleich die Herstellung einer
Unleserlichkeit, als träfe man auf fehlerhafte Schüleraufsätze. Zu den
unästhetischen Reformkonstrukten in den Bereichen Zusammen- und Getrennt-, Groß-
und Kleinschreibung sowie den Ausgeburten von Ignoranz gegenüber
sprachgeschichtlichen Entwicklungen und Etymologien gesellt sich völliger
Wildwuchs, völlige Beliebigkeit in der Interpunktion. Diese war einst ein
Mittel, Sätze besser und schneller zu verstehen. Heute kann sich der Leser
seinen eigenen Satz zusammenbasteln.
Offenbar interessiert die Verfasser nicht mehr, ob sie verstanden werden. Und
offenbar sind die Leser so nervös, daß sie schneller zu anderen Texten geklickt
haben, vielleicht solchen mit vielen netten, bunten Bildchen. Sowas erfreut die
unerwachsen Gebliebenen natürlich mehr, als Herausforderungen an die Herstellung
von Vorstellungen durch Text.
Einst waren Texte, egal welcher europäischen Sprache, immer auch Teil der
jeweiligen Kultur, so wie Sonaten, Gemälde oder Theateraufführungen. Noch zu
Zeiten von Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und Ernst Bloch sollten sie - als
poetische Artefakte z.B. - sich gegen die heraufziehende Barbarei stemmen. Es
waren Texte, die man auch zu verschiedenen Zeiten lesen konnte und immer neue
Aspekte des Seins vermitteln halfen.
Heute sprudeln die Medien und sozialen Netzwerke über mit unausgegorenen
Werbungen, von Produkten, aber auch Werbung für den eigenen Körper, das eigene
Gesicht. Die Texte verschwinden in diesem Strudel täglich neuer Körperteile und
Gesichter, Werbesprüchen und Bildern und bilden nur noch ein
Hintergrundgeräusch, bei dem niemand auf sprachliche Richtigkeit,
Verständlichkeit, geschweige denn Eleganz achtet.
Es ist wohl die Endzeit einer Epoche bzw. einer gesellschaftlichen Formation,
letztlich einer Kultur. Insofern markiert der ganze Unsinn namens
Rechtschreibreform den Untergang der Schreibkultur, als eines Teils der Kultur.
Anna Bödeker (August 2012)
Link: Theodor Ickler: Mein Rechtschreibtagebuch